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Hurra

Am sprungturmseitigen Ende des Pools ist eine zweite Wand vorgezogen. Darin sechs Türen, vier gemeine, eine Dreh- und eine Schwingtür. Es wird raus- und reingegangen (und -gefahren). An einer Stelle wird Einblick gegeben in ein Kabäuschen mit Kaffemaschine (hörbar); hier ist die «Band» platziert. D.h. Mario Hänni und Timo Keller (von Hanreti) lassen ihre Soundscapes laufen und frickeln stimmungsmässige Klänge (es muss gesagt werden: in den hinteren, d.h. oberen Rängen geht das bei älteren Ohren mitunter zu Lasten der akustischen Verständlichkeit; vielleicht gibt’s nach der Premiere noch ein alle Seiten befriedigendes Feintuning). Vorne in Hufeisenform Bürointerieur, Sessel mit Rädchen dran, 3 Pulte mit Schubladen.

Es ist das Reich von Direktor Gross. Der hat nach emsigem Beamteneinlaufen am Morgen nach der Postsortierung eine besondere Sorge: Ein Schreiben hat ihn ereilt, dessen Inhalt er nicht lesen kann. Denn es ist in einer Sprache verfasst, die ihm schleierhaft ist. Im Amt wurde nämlich eine neue präzise Kunstsprache zwecks Optimierung/Effizienzsteigerung eingeführt. Dumm nur, dass man vergessen hat, es dem Direktor mitzuteilen. Übersetzungsanstrengungen scheitern vorerst an den bestimmten Bestimmungen, Gross bleibt einmal die Bemerkungen, es handle sich da doch lediglich um «zufällig zusammengewürfelte Buchstaben».Wir lernen: Wer die Sprache hat, hat die Macht. In einem gelinde gesagt absurden System, wie hier die Bürokratie (aka Gesellschaft) und ihr entindividualisiertes, automatisiertes und repetitives Leben (Denken und Handeln).Die Seminarleiterin alias Ptydepe-Beauftragte ist bezüglich Grossens Einschätzung anderer Meinung. Sie lobt in ihrem Referat die Exaktheit und den exorbitant reichen Wortschatz der Sprache, mit der eben Präzision, Zuverlässigkeit und Eindeutigkeit verbunden sind. Der Leiter des amtseigenen Übersetzungsbüros scheint leicht überfordert. Dank der Umstände mit den Ptydepe-Wirren, die wissenschaftlich begleitet weden, schlägt die Stunde von Vize Balas (an seiner Seite der geheimnisvolle stumme Kubsch, der sich nur mimisch und gestisch verständigt, Funktion: Vize-Stellvertreter). Balas, ein Wortmächtiger wie Gross, wird die Rolle tauschen. Unter den neuen Vorzeichen dieses Machtwechsels nimmt alles seinen gewohnten Lauf. Doch die Krux mit der eigentlich niemandem geläufigen Amtssprache bleibt bestehen – man versteht sie nicht und darf nicht übersetzen, weil die Bestimmungen es nicht zulassen. So etwas nennt man Teufelskreis.Die Mechanismen und Gründe sind weitgehend undurchschaubar, das ist der Geist des Absurden. Am Ende kippt die ganze Sache. Die alte Ordnung wird gleichsam wieder hergestellt, der alte Direktor wird der neue Direktor, Ptydepe wird abgelöst durch Chorukor. Alles bleibt beim Alten bzw. fängt wieder von vorne an.«Die Benachrichtigung» wird als Tragikomödie bezeichnet. Will heissen: Auf ernstem Grund ist viel Platz für Komisches. Es handelt sich hier um ein Stück absurdes Theater mit politischer Schlagseite. In der Tschechoslowakei wurde «Die Benachrichtigung» anno 1965 als «satirisches Spiegelbild unserer Gesellschaft» gelesen, Autor Havel galt als «der zornige junge Ionesco der Tschechoslowakei» («Der Spiegel» 1965). Vacláv Havel selber zu seinem Stück: «Jedes System, sprachlich oder politisch, kann ein Stadium der Verknöcherung erreichen. Dann dient nicht mehr das System dem Menschen, sondern der Mensch dem System.»Ein politisches Stück? Gähn? Mitnichten. Erstaunlich, wie gut sich das mehr als 50-jährige Stück gehalten hat, erst recht, wenn es mit dem von der Backstage-Truppe praktizierten Esprit auf die Bühne (in den Pool) gebracht wird. Über weite Strecken ist das saukomisch, sprachlich und situativ, rasant mit viel Bewegung (die Roll-Sessel) gemacht (alle ausser den Direktoren tragen Sportschuhe…). Es wird viel geraucht und gegessen, Milch und Bier getrunken. Mann trägt Schnauz. Ein gutes Stück gut inszeniert, dankbar die grotesken Momente ausspielend. Nicht zufällig gemahnt «Die Benachrichtigung» übrigens an Kafka. Dieser gehört erklärtermassen zu Václav Havels Ahnherrn.Die Backstage-Produktion «Die Benachrichtigung» ist das erste Projekt der Neubad-eigenen Förderplattform FKK alias «Frische Kunst und Kultur im Neubad-Pool». Regisseur Damiàn Dlaboha zeigt hiermit die Abschlussinszenierung seines Regiestudiums an der Zürcher Hochschule der Künste.Ich würde sagen: Mit Bravour bestanden.


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